Hausen


28.10.
Familienbesuch, unverhofft mit allen zehn oder wie viele das inzwischen sind, eigentlich war ein tete-à-tete mit Oma geplant. Die Familie aber, Kinder, Enkelkinder, Eltern in Hülle und Fülle, verunmöglicht jeden Plan, die Menge an Menschen, Rollen und Strukturen macht jede Konzentration kaputt. Logisch. Also entweder Separierung oder Eintauchen, intensives Aufregen und Frohlocken, voll durchdrehen, hauptsache laut genug und stabil, um nicht sofort weggerissen zu werden von den anderen Meinungen, die doch voll als motor gebraucht werden, damit ich ausflippen kann. Danach im Stillen die eigene Meinung nochmal überprüfen und gelassen über Bord werfen, weil sie jetzt nicht mehr relevant ist, nicht mehr ventil für die wütende Leidenschaft im Sinne von "ich bin jetzt auch besonders und nicht mehr euer fleisch und blut". Später voll nett geredet, Spaziergang durchs Heimatdorf, Frischluft, Ausnahmezustand angenehmster Fasson, am Abend Kissenschlacht mit Babys und Schulkindern. Dabei vor lauter Vergnügen kurz selbst in ein Kissen verwandelt, weich, warm und dunkel, aufeinandergestapelt und quietschend. Ab ins Bett. Der Mond ist aufgegangen und die goldnen Sternlein sind auch schon längst extrem gut sichtbar. Mikrokosmos Dorf in direktem Kontakt mit dem Makrokosmos, dem All.


18.10.


14.10.

Kadish Yatom:

יִתְגַּדַּל וְיִתְקַדַּשׁ שְׁמֵיהּ רַבָּא. (אמן)

דַּעֲתִיד לְחַדָּתָא עָלְמָא וּלְאַחָאָה מִיתַיָּא. וּלְמִפְרַק חַיַיָּא. וּלְמִבְנֵי קַרְתָּא יְרוּשְׁלַם. וּלְשַׁכְלָלָא הֵיכְלָא קַדִּישָׁא. וּלְמִעְקַר פּוּלְחָנָא נוּכְרָאָה מִן אַרְעָא. וּלְאָתָבָא פוּלְחָנָא דִּי שְׁמֵיהּ לְאַתְרֵיהּ. בְּהַדְרֵיהּ בְּזִיוֵיהּ וּבִיקָרֵיהּ. וְיִמְלוֹךְ מַלְכוּתֵיהּ וְיַצְמַח פּוּרְקָנֵיהּ וִיקָרֵב מְשִׁיחֵיהּ וְיִפְרוֹק עַמֵּיהּ. בְּחַיֵּיכוֹן וּבְיוֹמֵיכוֹן וּבְחַיֵּיהוֹן דְּכָל בֵּית יִשְׂרָאֵל, בַּעֲגַלָא וּבִזְמָן קָרִיב וְאִמְרוּ אָמֵן. (אמן)

ומיד אומרים הציבור והשליח ציבור עמהם:

יְהֶא שְׁמֵיהּ רַבָּא מְבָרַךְ לְעָלַם וּלְעָלְמֵי עָלְמַיָּא:

ואומר שליח ציבור לבדו: יִתְבָּרַךְ: (אמן).

וְיִשְׁתַּבַּח וְיִתְפָּאַר וְיִתְרוֹמַם וְיִתְעַלֶּה וְיִתְהַדַּר וְיִתְהַלַּל וְיִתְנַשֵּׂא, שְׁמֵיהּ דְּקֻדְשָׁא בְּרִיךְ הוּא. (אמן)

לְעֵילָא לְעֵילָא מִכָּל בִּרְכָתָא שִׁירָתָא וְתֻשְׁבְּחָתָא וְנֶחָמָתָא, דַּאֲמִירָן בְּעָלְמָא וְאִמְרוּ אָמֵן. (אמן)

עַל יִשְׂרָאֵל, וְעַל רַבָּנַן, וְעַל תַּלְמִידֵיהוֹן, וְעַל כָּל תַּלְמִידֵי תַּלְמִידֵיהוֹן, דְּעָסְקִין בְּאוֹרָיְתָא (קַדִּישְׁתָא) דִּי בְאַתְרָא הָדֵין וְדִי בְכָל אֲתַר וַאֲתַר. יְהֵא לְהוֹן וְלַנָא חִנָּא וְחִסְדָּא וְרַחֲמֵי מִן קֳדָם אֲבוּנָא דְּבִשְׁמַיָּא וְאִמְרוּ אָמֵן. (אמן)

יְהֶא שְׁלָמָא רַבָּא מִן שְׁמַיָּא, וְסִיַּעְתָּא וּפוּרְקָנָא וּרְוַחָא וְחִנָּא וְחִסְדָּא וְרַחֲמֵי עֲלֵיכוֹן וַעֲלַנָא וְעַל כָּל קְהָלְהוֹן דְּכָל בֵּית יִשְׂרָאֵל לְחַיִּים וּלְשָׁלוֹם וְאִמְרוּ אָמֵן. (אמן)

מכאן אומרים הציבור והשליח ציבור יחד:

עֹשֶׂה שָׁלוֹם בִּמְרוֹמָיו, הוּא בְרַחֲמָיו וַחֲסָדָיו יַעֲשֶׂה שָׁלוֹם עָלֵינוּ וְעַל כָּל יִשְׂרָאֵל. וִינַחֲמֵנוּ בְצִיּוֹן וְיִבְנֶה בְרַחֲמָיו אֶת יְרוּשָׁלָיִם בְּחַיֵּינוּ וּבְיָמֵינוּ בְּקָרוֹב אָמֵן וְאָמֵן:

May Sir excuse my intrusiveness, if I dare to approach him while being such a stranger; I have a favour to ask.  If you would be so kind as to grant – ” “But for God’s sake, Sir!” I burst out in my fear, “what can I do for a man, who –”  We both hesitated and, I think, turned red.

After a moment of silence he found his tongue again: “During the short time in which I have enjoyed the good fortune of finding myself in your vicinity, I have, Sir, on several occasions – permit me to say this to you – indeed been able to regard, with unutterable admiration, the beautiful, beautiful shadow you cast from yourself in the sun with, as it were, a certain noble contempt, without heeding it in the least: the beautiful shadow there at your feet.  Forgive me this admittedly audacious presumption.  I suppose you would not be averse to letting me have this shadow of yours?”


30.9.

Nun ist dieser Fremde also jemand den man, um ihn zu empfangen, zunächst einmal nach seinem Namen fragt; man fordert ihn auf, seine Identität anzugeben und zu  garantieren, wie bei einem Zeugen vor Gericht. Er ist jemand, dem man eine Frage stellt und an den man eine Anfrage richtet, die erste, die minimale Anfrage, die da lautet: „Wie heißt du?“ oder mehr noch: „Indem du mir sagst, wie du heißt, indem du auf diese Anfrage antwortest, übernimmst du die Verantwortung für dich, bist du vor dem Gesetz und deinen Gastgebern verantwortlich, bist du ein Rechtssubjekt.“

 

Das ist nun – zumindest in einer ihrer Bedeutungen – die Frage des Fremden als Frage der Frage. Besteht die Gastfreundschaft darin, den Ankömmling zu befragen? Beginnt sie mit der Frage, die an die Kommende gerichtet wird (was als sehr menschlich und bisweilen liebevoll erscheint, vorausgesetzt, dass es Gastfreundschaft mit Liebe zu verbinden gilt – ein Rätsel, das wir im Moment noch zurückbehalten): Wie heißt du? Sag mir deinen Namen, wie soll ich dich nennen, ich, der ich dich rufe, der ich dich bei deinem Namen rufen möchte? Wie werde ich dich nennen? Ebendiese Frage stellt man, ganz zärtlich, gelegentlich auch Kindern oder Geliebten. Oder beginnt die Gastfreundschaft damit, dass man empfängt, ohne zu fragen, in einer doppelten Streichung, der Streichung der Frage und des Namens. Ist es gerechter und liebevoller, zu fragen oder nicht zu fragen? Beim Namen zu rufen oder ohne Namen zu rufen? Einen bereits gegebenen Namen zu geben oder zu erfahren? Gewährt man Gastfreundschaft einem Subjekt? Einem identifizierbaren Subjekt? Einem anhand seines Namens identifizierbaren Subjekt? Einem Rechtssubjekt? Oder wird die Gastfreundschaft dem Anderen gewährt, ihm geschenkt, bevor er sich identifiziert, ja noch ehe er ein Subjekt, ein Rechtssubjekt und ein bei seinem Familiennamen zu rufendes Subjekt usw. ist (als ein solches gesetzt oder vorausgesetzt wird)?

Jaques Derrida: Von der Gastfreundschaft

 

27.9.

HERZLICHE EINLADUNG

Wir hausen jetzt hier + das wird gefeiert. Ständig, aus Gewohnheit + Verwöhntheit.

Wir haben dauernd Gäste.

 

Wir stellen uns kurz vor: Wir sind meistens zu zweit und immer das Institut für angewandtes Halbwissen. Wir gründeten es + arbeiten seit Jahren miteinander, befreundeten uns und fremdelten, wir zogen unsere Kreise, steckten unsere Territorien ab und beheimateten sie. Nun ist uns der Name peinlich, darum wird er hiermit feierlich abgelegt: Ihr, unsere Gäste mögt das Institut in Schutt und Asche legen oder in alle Winde zerstreuen, damit wir selbst als selbste weiter arbeiten können. Unser Motto bleibt das gleiche: wir glauben an die Freundlichkeit von Fremden und die Fremdheit der Freunde.

Aber jetzt öffnen wir den Kreis ein wenig, wir öffnen ihn ganz, lassen jemanden eintreten, rufen nach jemandem oder treten sogar selber aus dem Kreis heraus, stürzen nach außen. Allerdings wird der Kreis nicht dort geöffnet, wo die alten Kräfte des Chaos andrängen, sondern an einer anderen Stelle, die vom Kreis selber geschaffen wird.
Es ist so, als ob der Kreis selber dazu neigte, sich einer Zukunft zu öffnen - und zwar von Kräften ausgehend, die in ihm wirksam sind und die er in sich birgt. Und diesmal geschieht das, um sich mit den Kräften der Zukunft, mit kosmischen Kräften zu vereinen.

 

 

Die wichtgsten Gesetze unseres Hausens:

 

Essen und Trinken: Bitte nimm dir eine Decke und eine Tasse, sie sind dein, bis du wieder gehst. Bitte wünsch dir eine Tee-Sorte und einen Kuchen. Oder bring mit, was du dir wünschst. Mittwochs gibt es Tee und vielleicht kommt jemand, den wir noch nicht kennen.

Fremdeln: Fremdeln als aktiv, d.h. ein sich fremd machen, ein Sich-Entfernen als Geste der Öffnung der Akzeptanz des Fremd-seins. Also Peinlich-sein, bis das von alleine aufhört oder bis es Tee gibt. Auch dann: dem Eindringling sein Störendes, Fremdes, unablässiges Eindringen zugestehen, nicht, weil es Spaß macht, sondern weil es der Realismus gebietet. Aushandeln ohne Ende, also improvisieren.

Improvisieren:  Man bricht aus, wagt eine Improvisation. Aber improvisieren bedeutet, sich mit der Welt zu verbinden und zu vermischen. Am Leitfaden eines Liedchens geht man aus dem Haus. Weil jede Begegnung Improvisation ist, wird es auch darum gehen, sich begegnen, zusammenkommen, einander einladen, sich gegenseitig vorführen, was man kann, was man hat, wer man ist, war und sein kann, damit spielen, gemeinsam, sich selbst und den anderen und einander zur Spielpartnerin, zum Spielbrett, zur Spielfigur machen.

Komm: Komm, setz dich, tritt ein, ohne zu warten, mach Halt bei uns, beeile dich ein zutreten, komme herein, nicht nur zu mir, sondern in mir, besetze mich, nimm Platz in mir, ich bring dir Tee, und zwei Stück lecker Kuchen, ich will so gerne Zeit mit dir und allen anderen verbringen, gerne auch verschwenden, dass wir nicht in Eile geraten und niemand irgendwas beweisen muss.
Wir laden euch ein, weil ich euch gut finde oder gerade nicht, aus Langeweile oder Neugier. Oder ihr kommt, ohne Einladung, unvorhergesehen, reingeschneit. 


Vielen Dank an

Die Residenz wird ermöglicht und gefördert durch

Fonds Darstellende Künste, Rudolf Augstein Stiftung, Hamburgische Kulturstiftung und Kulturbehörde Hamburg.